80 Jahre Atombombe: Vier Mal Oppenheimer – Teil 4

80 Jahre Atombombe: Vier Mal Oppenheimer – Teil 4
Charles Regnier, Werbe-Standfoto aus dem Kinofilm "Mein Onkel, der Gangster" von 1963. Vertrieb: Gaumont

Kilian Mutschke und Joachim Polzer am Mikrophon.
Joachim Polzer am Schreibtisch.

Vier Mal Oppenheimer

Teil 4
In der Sache Robert I. Oppenheimer

(Fernsehspiel, HR, BRD 1964)

Regie: Gerhard Klingenberg
Hauptdarsteller: Charles Regnier, Friedrich Joloff, Siegfried Wischenwski, Konrad Georg, Kaspar Brüninghaus, Herbert S. Marks, Alexander Kerst;
nach dem Theaterstück von Heiner Kipphardt

80 Jahre Atombombe.

Nachfolgend der vierte Teil des Transkipts der Episode 41 vom 25. Juni 2025
in der Film-Podcast-Reihe akiwiwa – als Kino wichtig war… ,
zur besseren Lesbarkeit leicht redigiert:

JP> Bevor wir schließlich über die Oppenheimer-Verfilmung von Christopher Nolan sprechen, sollten wir uns vielleicht zunächst noch das westdeutsche Fernsehspiel aus dem Jahr 1964 vornehmen.

KM> Ich war zunächst etwas verwirrt über den Titel dieses Fernsehspiels, das ja eben heißt: "In der Sache Robert i Punkt Oppenheimer". Und wir wissen ja, dass er Julius heißt. Du hattest mir das dann erläutert damit, dass es hier eher bildungsbürgerlich gemeint sei. Also, dass mit "i" eben Julius gemeint ist. Das mag jetzt kleinlich klingen oder so, aber es machte mir teilweise die Recherche etwas schwierig zu diesem Fernsehspiel, weil auch das "j" in Besprechungen dieses Werktitels vorkommt. In diesem Fernsehspiel geht es eigentlich nur um die Anhörung vor diesem Sicherheits-Ausschuss.

JP> Genau, deswegen ist der Titel auch so wichtig. Denn im erläuternden Untertitel heißt es dann: "Szenischer Bericht über das Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss der Atomenergiekommission zur Erteilung der "Sicherheitsgarantie" für die weitere Teilnahme an geheimen Atomprojekten gegen den Vater der Atombombe, I. Robert Oppenheimer" in Zeiten der McCarthy Ära. Genau darum geht's. Es geht hier also nur um den Untersuchungsausschuss der Atomenergiekommission, die Sicherheitsgarantie, seine Security Clearance zu erörtern, ob er sie weiter haben kann oder ob sie ihm entzogen wird. Sie wurde sie ihm dann auch entzogen. Also wurde er sozusagen politisch und militärisch kaltgestellt und durfte sich dann für den Rest seines Lebens als Forscher und Privatmann zurückziehen. Hier als Fernsehspiel in der Regie von Gerhard Klingenberg dargestellt, das Drehbuch als Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Heiner Kipphardt. Das war also ursprünglich ein Schauspielstück gewesen im Genre des Dokumentarischen Theaters.

Beim Dokumentarischen Theater am Anfang der 1960er-Jahre sind noch zwei weitere Produktionen relevant: "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth und dann natürlich "Die Ermittlung" von Peter Weiß, als internationales Theaterevent, das zeitgleich in unterschiedlichen Ländern und Theatern, in Ost und West, quasi synchron aufgeführt wurde, wo's eben um Ermittlungen gegen Nazitäter ging. Und in diesem Kontext war dieses Oppenheimer-Theaterstück von Kipphardt im "Themenfeld" wichtig gewesen. Es gab in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre eben eine Zeit, da schaute man sich im Theater dokumentarische Stücke zu Zeitfragen an, die dann auch den Weg in's Fernsehspiel für ein Fernsehpublikum fanden. Erwin Piscator hat übrigens alle drei dieser relevanten Stücke des Dokumentarischen Theaters als Theater-Regisseur und Intendant an der Freien Volksbühne Berlin in der Schaperstraße uraufgeführt.

KM> Als ich mir das Fernsehspiel zum ersten Mal anschaut habe, war ich völlig hin und weg, weil der Film hat keine Musik, er spielt in einem einzigen Raum. Es gibt eine Art Kommentator oder Nachrichtensprecher, Robert Freitag spielt ihn, der hin und wieder das Geschehen dramaturgisch kommentiert und einordnet, so in der Art: "heute der elfte Tag" – oder: "es geht jetzt in die entscheidende Phase".

Und dann hast Du eine Schwarz-Weiß-Kamera, die auf die Schauspieler drauf hält und die Schauspieler-Darstellung entfalten lässt. Das steht hier im Mittelpunkt und in diesem Mittelpunkt steht Charles Regnier mit seiner Oppenheimer-Figur, als schon gealterter Wissenschaftler, der sich nun quasi rechtfertigen muss für sein Leben mit Sachen, die teilweise Dekaden zurücklegen, die schon vorher aufbereitet worden sind und jetzt in dieser McCarthy-artigen Hetzjagd gegen Kommunisten noch mal völlig neues Gewicht bekommen. Weil es geht darum, aus dem Blickwinkel der Kommission von damals, die alten Vorkommnisse neu zu bewerten und dabei mehr oder minder eine Person zu zerstören, als eine Art Schauprozess, wo das Ergebnis von vorne herein schon fest steht und damit das Ganze ein ganz großer Schaukampf wird in kleiner Kommissions-Runde. Es ist klar, dass er seine Security Clearance verlieren wird und dadurch seine Reputation zerstört wird. Aus dem einstigen Nationalheld wird dann unter neuen politischen Konstellationen dieser gefallene Held. Und genau das steht im Mittelpunkt dieses Fernsehspiels. Und das ist einfach ziemlich krass. Das Ganze geht zirka 135 Minuten. Und ich hab die Videoaufzeichnung jetzt bereits mehrfach gesehen und man kann das einfach gut am Stück schauen. Es ist wie eine Art Thriller inszeniert, auf eine Weise. Dann kommen eben so Sachen heraus, die ganzen Reveals: Er kannte da diese Frau und hatte mit der irgendwie Kontakt und dann kannte er jene Frau und hatte mit der auch irgendwie Kontakt und kannte dann auch noch jenen Professor, der Kontakt zu den Kommunisten hatte und so weiter. Und eigentlich läuft das Ganze nur darauf hinaus, quasi mehr oder minder seinen Lebensweg komplett infrage zu stellen und letztendlich diesen "Vater der Atombombe", als derer er bezeichnet wurde, ins Abseits zu manövrieren. Und das ist einfach krass.

JP> Und es war politisch auch genau so gewollt. Man wollte Oppenheimer als Nationalheld nicht McCarthy direkt zum Fraß vorwerfen, sondern hat's dann auf die gemeine Art gemacht und es dann sozusagen über die Sicherheitsgarantie, also eigentlich eine Formalie, geschafft, ihn damit aus dem Machtgefüge heraus zu hebeln. Und diese Lesart passt auf diese Weise dann auch in die westdeutsche Kritik und Aufarbeitung des McCarthyismus der 1960er-Jahre.

Oppenheimer war Bremser gegen das Tellers Wasserstoff-Bomben-Projekt, nachdem er vermeintlich erkannt hatte, welche Zerstörungskraft die Atombombe mit ihren Kilotonnen Sprengkraft eben hat, und meinte, dass das jetzt genug sei, man Tellers Wasserstoffbombe, die die Kernspaltung der Atombombe als Energie nutzt, um spezielle Wasserstoffisotope wie Deuterium zur Kernfusion zu Helium zu bringen, um mit der dadurch entstehenden Fusionsenergie noch einmal eine Vertausendfachung der Energie in den Megatonnenbereich herbeizuführen. Oppenheimer war also widerspenstig gegenüber Tellers Wasserstoffbomben-Forschung und das störte die weitere Entwicklung der USA als dominante Hegemonialmacht durch die Herrschaftskräfte. Oppenheimer dabei auszubremsen und auszuhebeln ist dann auch gelungen, und zwar eben hinten herum und nicht durch ein öffentlichkeitswirksames McCarthy-Tribunal. Das wollte man dem "Vater der Atombombe", der so gefeiert wurde, dass er Amerika on top gebracht hat, als Supermacht, dann doch nicht zumuten. Aber man wollte ihn politisch beseitigen und ins Privatleben zurückführen.

KM> Ja, fast wie im Spielfilm "Ein Mann für jede Jahreszeit" von 1966 in der Regie von Fred Zinnemann. Da geht es um Thomas Morus am Beginn des 16. Jahrhunderts, Renaissance-Zeit also, und am Ende um seine Rede vor dem Staatsgericht. Quasi auch ein Mann, der für seine Werte mit seinem Leben einsteht. Und in unserem Fall ist es Oppenheimer, der für sein Leben einsteht. Also sich rechtfertigen muss für all die Entscheidungen, die er im Leben getroffen hat, beziehungsweise dafür, dass er aus Gründen die Wasserstoffbombe kritisierte. Also einen Planetenkiller, wo wir inzwischen wissen, welche Zerstörungskraft der hat. Ihm für seine Kritik daran daraus einen Strick drehen zu wollen, dass er unpatriotisch handeln würde, ist schon ziemlich krass.

Einem Kritiker mit dieser Fachkenntnis die Expertise abzusprechen oder seine Kritik als kindisch gegen ihn selbst auszulegen, finde ich einfach krass. Und in diesem Kommissions-Setting wäre wohl jeder bei dieser Anhörung abgestraft oder als öffentliche Person entsorgt worden, weil alle unisono permanent gegen ihn in Stellung gebracht wurden, auch die ganze Beweislage. Die Ankläger, sag ich mal, hatten diese ganzen sicherheitsrelevanten Akten, die der Anwalt von Oppenheimer gar nicht "aus Sicherheitsgründen" hatte einsehen können. Dabei sind ja zum Teil Kenntnisse zutage gefördert worden, die vorher unbekannt waren. Und so war es in dieser Verhandlung dann auch schwer, ihn zu verteidigen. Und dabei lag das Gewicht dann auf Oppenheimers reagierender Argumentation, sich in seinen Worten zu rechtfertigen.

Charles Regnier als Oppenheimer. Kolorierter Film-Clip aus dem Fernsehspiel, Quelle: hr

JP> Und in unserem Fersehspiel von 1964 brilliert dabei Charles Regnier, in dieser dramatischen Situation mit Geistes-Esprit, Schlagfertigkeit und Erinnerungsfähigkeit die Figur zu Hochform auffahren zu lassen, und parallel auch kontern zu können. Das natürlich im Wissen, dass man auf verlorenen Posten hier sitzt, weil die Macht der Mächte mehr weiß und alle Machtmittel des Wissens aus den Akten eben eingesetzt wurden, das gewünschte Ziel auch zu erreichen. Das Theaterstück und natürlich dann auch die Verfilmung als Fernsehspiel durch Gerhard Klingenberg – der ja erst letztes Jahr gestorben ist und hier in Berlin das Renaissance-Theater auch lange Zeit als Intendant führte –, basiert auf den Untersuchungsausschuss-Protokollen, die, wie es in Amerika eben üblich ist und üblich war, als Gemeingut frei zugänglich publiziert wurden, damit natürlich auch hier zugänglich waren und als dramatisches Material so verwendet werden konnten.

Fairerweise muss man sagen, dass der gesamte Komplex mit den Atomforschern um Oppenheimer in den 1950er-Jahren durch den Publizisten, würde man auf Deutsch sagen, den Reporter, Robert Jungk recherchiert, dargestellt und in Buchform veröffentlicht wurde. Robert Jungk hatte als jüdischer Flüchtling es durch seine Kontakte zur Schweizer Weltwoche insbesondere erreicht, relativ früh ab 1945 in den USA Korrespondent und Reporter zu werden, nachdem er zuvor als Emigraten-Existenz an verschiedenen Standorten mehr oder weniger weltweit im Reporter-Einsatz war. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat er sich auf die Entwicklung in den USA fokussiert und ist da recht früh in irgendwelche Kongress-Hearings zur Zukunft der Atomkraft und der zivilen Nutzung der Atomforschung gekommen, letztlich durch Zufälle, dass er eine falsche Tür aufgemacht hat und dann staunte, was da gerade thematisch verhandelt wurde. Und dann sagte er sich: Das ist aber interessant, was hier gerade besprochen wird und ist in diese ganze Thematik der technischen Anwendungen laufender Forschung für diese neuen Supermacht USA mit seiner Recherche tief eingestiegen.

Er hat dann nach sieben Jahren 1952 den Buchtitel "Die Zukunft hat schon begonnen" auf Deutsch vorgelegt, was zügig ein veritabler Bestseller wurde, weil 1945 war Deutschland noch damit beschäftigt, Steine zu klopfen und Trümmer zu beseitigen. Und 1952 war die Zeit, wo man meinte, das Schlimmste bei der Trümmerbeseitigung in Westdeutschland geschafft zu haben und die ersten Nachkriegsneubauten in den Städten sichtbares Zeichen für den Wiederaufbau des Landes wurden. Und in diese Atmosphäre des beginnenden so genannten Wirtschaftswunders in Westdeutschland kam dann "Die Zukunft hat schon begonnen" heraus, wo eben nicht nur bei der friedlichen Anwendung der Atomtechnologie, sondern in einem weiten Bereich technologischer Anwendungen er zeigte, was da überhaupt in den nächsten 50, 70, 100 Jahren auf die Menschheit zukommen würde. Der Buchtext "Die Zukunft hat schon begonnen", ist aus heutiger Sicht weiterhin sehr lesenswert.

Und auf der Basis dieses publizistischen Achtungserfolgs hat er dann die Geschichte der Atomphysik und der Entwicklung der Atombombe nachgezeichnet. "Heller als 1000 Sonnen" war dann das zweite Bestsellerbuch von Robert Jungk, 1956 erschienen, wo dann eben auch bereits dieses Untersuchungsausschuss-Protokoll zur Entziehung der Security Clearance von Oppenheimer eingearbeitet war. Und das ist dann nicht nur in Deutschland ein großer Bestseller geworden, sondern ist in viele europäische Länder verkauft, übersetzt und auch dort breit rezipiert worden. 1958 folgte dann "Strahlen aus der Asche", wo es um die Opfer, die Strahlenopfer der Atombombenabwürfe dann ging in Recherchen vor Ort in Japan. Das war dann sein dritter Bestseller während der 1950er-Jahre. Er hatte sich damit einen Namen gemacht und er ist dann in die Rolle nicht nur des Reporters, sondern auch des Debattenredners, des Zukunftsforschers, des gesellschaftlichen Anregers in seiner Funktion als Redner und dann auch als politischer Aktivist, der er dann in den 1980er-Jahren wurde, eben sehr bedeutsam geworden.

Nachdem "Heller als 1000 Sonnen" 1956 publiziert war, kamen dann auch irgendwann Anfragen, die eben eindeutig Indiz dafür liefern, dass sowohl Dürrenmatts Theaterstück "Die Physiker" als auch Kipphardts Stück thematisch auf der publizistischen Breitenwirkung seines Buchtitels beruhen. Denn es gab eine Anfrage aus Ost-Berlin durch ein dortiges Theater für Heiner Kipphardt, mit ihm doch zusammen zu arbeiten, aus dem Material der Atomforschung ein Theaterstück zu kondensieren. Das hat Robert Jungk dann abgelehnt, weil er es komisch fand, jetzt für Ost-Berlin zu arbeiten und auch andere Sorgen gerade hatte mit seinen Recherchen vor Ort in Japan. Was dann dazu führte, dass Kipphardt diese Untersuchungsausschuss-Protokolle nach seinem Umzug ins Bundesgebiet eigenständig als Theaterstück verarbeitete, 1964 in West-Berlin mit Erwin Piscator und in München mit Paul Verhoeven als Regisseure aufführen konnte, und dann natürlich auch Gewichte setzte, die man im Detail auch kritisieren kann. Ich meine, es würde jetzt zu weit in's Detail gehen, wenn wir da jetzt sozusagen die textkritische Analyse dieses Untersuchungsausschuss-Protokolls für das Theaterstück bzw. das Fernsehspiel vornehmen würden. Es wird ja dann auch im Titel erwähnt, dass man hat sich bemüht hat, dem Wahrheitsgehalt gerecht zu werden, auch wenn gekürzt wurde.

Aber hier wäre für mich dann doch noch einmal einzuhaken, was da weggekürzt wurde und welche Bedeutung das dann bekommen hat. Also man darf das nicht komplett alles unkritisch sehen, was Kipphardt da gemacht hat, weil die Sache recht komplex ist und jetzt diese Frage der Atomforschung, der Atomphysiker und des Teams, das dann die Atombombe realisiert hat, recht komplex ist und das eben auch in 2 Stunden 15 Minuten Handlungszeit auf der Bühne oder im Fernsehspiel nicht alles hinreichend dargestellt werden kann. Also das nur als Hintergrund, wie es eben zu diesem Drehbuch und zu dem Theaterstück von Kipphardt gekommen ist und letztlich auch zu den "Physikern" als Stück, als recht bekannt gewordene Buchveröffentlichung von Friedrich Dürrenmatt, dem Schweizer Autor.


KM> Das hatten wir in der Schulzeit mal tatsächlich selbst gespielt, "Die Physiker". Das finde ich interessant, was Du da erwähnt hast. Was man an dem Fernsehspiel bemerkt, ist halt einfach die Klasse der Schauspieler. Und das ist für mich das, was diesen Stoff zum Leben erweckt. Du darfst nicht vergessen, die Verfilmung ist von 1964. Die Fernsehaufzeichnung ist jetzt über 60 Jahre alt und hat wirklich eigene Power. Ich habe mich mehrfach an "Twelve Angry Men" von Lumet, "Die zwölf Geschworenen", als Kinofilm von 1957, erinnert. Ja, diese diese diese Kraft des gesprochenen Worts, auch die Kamerabewegung, denn aus dieser Beschränkung bei der Gestaltung dieses Fernsehspiels wird eine große Kraft gezogen. Aber auch später bei dem Oppenheimer-Film von Nolan, da kommt diese Enge des Raumes auch rüber. Dieses kleine Zimmer außerhalb der Öffentlichkeit, wo quasi ein Leben über zig Tage mit dem Kommunistenjagd-Mikroskop betrachtet wird; das muss man einfach mal gesehen haben. Und ich finde auch diese Manierismen, die Regnier seiner Figur gibt, interessant, wie er seinen Arm hält, wie Murphy bei Nolan die Oppenheimer-Pfeife raucht, wie der Hut getragen wird, usw.; das machen eigentlich alle Schauspieler ziemlich cool. Regnier bringt da wirklich aber eine Klasse mit ins Spiel.

JP> Du merkst hier halt einfach auch den Theaterhintergrund der Schauspieler. Keine Frage. Mir ganz lieb ist natürlich der Schauspieler Friedrich Joloff in der Rolle des Anwalts John Lansdale. Joloff, populär durch "Raumpatrouille Orion" von 1966 in der Rolle des Oberst Villa, des Chefs des "Galaktischen Sicherheitsdienstes". Dann Siegfried Wischenwski als Anwalt der Atomenergiekommission Roger Robb. Das sind für mich bekannte Namen gewesen. Dann auch Kaspar Brüninghaus als Hans Bethe und Konrad Georg als sehr bekanntes deutsches Spielfilm- und Fernsehspielgesicht in der Rolle von Herbert S. Marks, Oppenheimers Anwalt. Auch Alexander Kerst als Edward Teller ist damals ein bekannter Schauspieler gewesen.

Wichtig noch als Nachtrag zur BBC-Produktion des Siebenteilers ist, dass auch die BBC-Produktion von Oppenheimer einen Kommentator hatte, aber das war ein Off-Narrator. Das heißt, es gab dort jemanden, der die Zuordnung und Kontextualisierung der einzelnen Folgen vornahm und verbindende Übergänge sprach, der dort auch teilweise kommentierend eingreift. Und auch bei unserem deutschen Fernsehspiel, unter der Klingenberg-Regie, gibt es Robert Freitag als auftretender On-Sprecher.

KM> Ein sehr guter Kniff zwischen Fernsehansager und Bühnenkommentator übrigens, weil ich fand, dass auf diese Weise auch das Geschehen eingeordnet und die Darstellung geformt wird, es einen Ausblick auf das Kommende gibt und auch ein Gefühl dafür entsteht, wie die Zeit dieses Verfahrens vergangen ist. Es muss einem ja gesagt werden, ob es gerade Abend und Dunkel draußen oder dass jetzt bereits der nächste Tag der Sitzungsreihe ist.

Allein durch den Auftritt der Zeugen wird eine große Spannung generiert, weil diese Zeugen sind ja zum Teil einfach fucking crazy, das muß man wirklich so sagen, also was die erzählen und welche Vorhaltungen die machen, Menschen quasi für ihre Haltung verurteilen oder für geäußerte Gedanken: Ist er noch patriotisch? Hält er zum noch zum Land? Sind das schon Gedankenverbrechen? Sind wir schon damals bei Orwells "1984"? – Deutlich spürbar ist auch, dass hier eine Vergangenheit zwischen den Figuren mitinszeniert wird und man dies auch deutlich merkt. Das finde ich halt auch ziemlich krass: Die kommen in einen Raum und Du spürst sofort, dass die irgendwie eine gemeinsame Vergangenheit haben.

JP> Finde ich spannend, dass Du die Qualität eben dieser darstellerischen Leistungen von vor über 60 Jahren so schätzt, wie ich auch. Einfach, dass hier eine reiche Theatererfahrung und Bühnenpräsenz in's Medium des Fernsehspiels herüber kam und dass es einfach viel Freude bereitet, da zuzuhören, weil natürlich auch die gesprochene Sprache, die Sprachgebung, eine ganz andere ist und die Intonierung wie auch die Artikulation sich auf einem ganz anderen, wie ich finde deutlich höheren, Niveau anderer Zeiten sich bewegt. Und darf man nicht vergessen: Das war ja sozusagen noch nicht mal 20 Jahre, nachdem die Atombomben abgeworfen wurden. Also da natürlich auch eine frühe Medienreflexion im Fernsehen zum Thema. Da bleibe ich bei meiner Meinung, dass ohne die publizistische Vorarbeit von Robert Jungk so etwas gar nicht möglich gewesen wäre. Denn das ganze Davor und Danach und insbesondere das Davor vor diesem Untersuchungsausschuss, das muss man ja irgend wie und irgend woher kennen, es schwingt mit, aber nicht alles und nicht alle werde durch dieses Theaterstück erklärt. Das heißt eben auch, dass dieses Theaterstück und Fernsehspiel basieren bereits auf einem zeitgenössischen Medienkontext, der durch die Buchpublikation und die internationalen Bestseller von Robert Jungk, ich habe sie vorhin erwähnt, eben vorbereitet wurden. Dieses Fernsehspiel fiel also nicht so ohne weiteres allein vom Himmel.

KM> Klar, aber ich finde, es ist auch die Stärke dieses Fernsehfilmes, dass man von den Hintergründen nichts wissen muss und es trotzdem funktioniert. Ja, ich finde, der Film nimmt einen gut an die Hand. Man kann also folgen, versteht es gut und kann dieses leicht exaltierte Spiel mit den dramatischen Pausen, die da teilweise gesetzt werden, genußvoll schauen. Das ist so wie ein mitreißender Gerichtsfilm. Ja, der spielt in dieser Klasse irgendwie, in diesem Genre. Klar ist er in schwarz-weiß und nur in Standardauflösung. Aber ich finde, das ist ein Film, den kann man heute noch empfehlen und sagen: Ey', schaut Euch das mal an!

Fernsehmitschnitt des Fernsehspiels in voller Länge bei YouTube.

JP>. Vor allen Dingen ist er eine schöne Ergänzung zu anderen, neueren Oppenheimer-Verfilmungen, um auf diese Weise Verbindungslinien zu ziehen und das Ganze thematisch zu vertiefen. Du hattest bereits "Twelve Angry Men" von Sydney Lumet erwähnt. Der war 1957. Und natürlich ist im Kino das Court Room Drama, das Gerichtsdrama, als Film-Genre weiterhin präsent gewesen. "The Verdict", von 1982, auch in der Regie von Lumet, hatten wir ja bereits kurz erwähnt im Zusammenhang mit Paul Newman. Jetzt sind in jüngster Zeit zwei weitere Court Room Dramas im Kino erschienen.

Das war zum einen "Anatomy of a Fall" mit Sandra Hüller in der Hauptrolle, wo es auch intensiv in einer Gerichtsverhandlung abging, die Wahrheit eben herauszufinden zu einem Unglücksfall oder Mordfall: Fragezeichen. Mit der Beziehung zwischen Eheleuten, der Beziehung der Beschuldigten bzw. der Angeklagten zu ihrem Anwalt, über-eifrigen und eitlen Staatsanwälten sowie der Rolle von Kinderzeugen. Und dann der jüngste, vielleicht dann auch der letzte Film von Clint Eastwood, "Juror #2", wo es dann darum geht, dass ein Jurymitglied dieser Grand Jury, also ein ein bestellter Geschworener aus der Gruppe von zwölf Geschworenen, plötzlich doch mehr in die verhandelte Sache verstrickt ist, die da verhandelt wird, als man es oder er es vorher ahnte. Und es ist deshalb ein Court Room Drama, weil eben weite Strecken des Films Darstellungen sind, die im Gerichtssaal sich selbst darstellen und dort entwickeln. Rückblenden machen das dann dort dramaturgisch "haptischer". Und in diese Linie passst "In der Sache I. Robert Oppenheimer" von Kipphardt und Klingenberg aus dem Jahr 1964, auch ganz gut dazu.

KM> Aber ist es in den USA eigentlich nicht so, dass die Jury-Kandidaten zunächst einen Brief erhalten, dass die dafür ausgewählt sind? Und dass sie sich gleich zu erkennen geben müssen, wenn da irgendwie eine Befangenheit vorliegen könnte, dass die gar nicht erst eingesetzt werden können, wenn sie den Beschuldigten oder Zeugen kennen oder Verwandte sind, etc.

JP> Ja, so ist es. Darüber gibt's zuvor Verhandlungen und persönliche Auswahl-Befragungen nach Rangordnung, wie eben die Nummer 2, ob per Brief vorgeladene potenzielle Juroren eben auch für das konkrete Verfahren zugelassen werden können. Aber manchmal weiß man eben nicht alle Dinge im voraus, sondern sie entwickeln sich erst situativ aus dem Lauf des Gerichtsverfahrens, wo dann plötzlich Dinge an die Oberfläche kommen, und dann hängt man drin.

KM> Das ist ja spannend.

JP> Ja, und plötzlich stellen sich dann Fakten heraus, wo man denkt: Hoppla, hoppla, Moment mal!

KM> Das klingt aber spannend!

JP> Ja, musst Du Dir anschauen. Ich hab mir den "Juror #2" aus England als Blu-ray-Disk besorgt, weil in Deutschland gibt's den natürlich wieder nicht oder noch nicht. Vielleicht muss er erst in 20 Jahren wieder neu entdeckt werden und vielleicht gibt's dann gar keine Disks mehr. Aber also ich fand den extrem spannend und wirklich gelungen. Und Clint Eastwood wird mit zunehmenden Alter, jetzt mit 95 Jahren, immer besser.

KM> Wir hatten "Sully" von ihm bei uns im Podcast besprochen. Dann hatte ich "American Sniper" und "Gran Torino" von ihm noch gesehen. Es gab eine Zeit, da hab ich von ihm als Regisseur und Schauspieler viele Filme gesehen. Unter anderem, auch letztens mal wieder, "Where Eagles Dare" aus dem Jahr 1968. Oh, mein Güte, ist dieser Film geil! Und da sagte er als Figur in dem Film so einen Satz als Anpielung auf's Alter. Und jetzt ist er 95 geworden.

JP> Ja, er schlägt noch Manoel de Oliveira, wo man meinte, dass der mit 116 noch irgendwie frische Filme gemacht hat. Ich übertreibe: Er ist mit 106 gestorben und hatte aber bis zuletzt Filme vorgelegt.

KM> Was bleibt, ist die Hoffnung, dass durch einen Gerichtsprozess irgendwie eine Form von Wahrheit oder Gerechtigkeit erreicht wird, so als Ziel. Eine Form von Wahrheit und Gerechtigkeit, die es ja oft im Leben überhaupt nicht mehr gibt oder schon damals nicht gegeben hat. Es ist auch das, was mich bei diesem Fernsehspiel zu Robert Oppenheimer inspiriert hat. Dieses Einstehen für eine Figur, auch wenn alles und alle gegen sie sind und eine Art "David gegen Goliath"-Kampf ist. Wenn man sich darauf erklässt, wird man da einfach richtig reingezogen.

JP> Mich mich drängt es jetzt noch kurz festzuhalten, dass wir von diesen Verhältnissen, die wir jetzt da am Beispiel von Oppenheimer in diesem Fernsehspiel von Kipphardt/Klingenberg sehen können, nicht so sehr weit entfernt sind. Denn was findet heute an Denunziation und Geheimdossiers alles statt, was dann ja auch zu Justizverfahren führt mit Bestrafungen wegen Meinungsdelikten, nicht wahr? – Also wie weit sind wir denn von dieser früheren Kommunistenhatz heute eigentlich entfernt, die wir so mit dem Fingerzeig hier vor uns haben? Und genau das bringt natürlich wieder eine ganz andere Relevanz und frische Brisanz in diese olle Kamelle. Olle Kamelle, so sagte man früher in Berlin. Denn dieser alte Drops wird plötzlich wieder ganz frisch und poppt auf. In welcher Zeit leben wir denn heute? – Ich meine, wir sind gar nicht so weit davon entfernt: "Wir haben auf Ihrem Twitter-X Profil im Social Network eine russische Flagge gesehen. Wie stehen Sie denn zu Russland, ja?" – Das ist dasselbe Ding heute. Wir sind genau wieder da.

KM>. Du besuchst irgendwie eine Lesung mit Diskussion von irgend einem Schriftsteller oder Politiker, der quer zum Spektrum denkt. Und das kann halt zu fristlosen Kündigungen führen, bei Arbeitgebern oder von Bankkonten. Die Leute haben inzwischen Angst, ihre wirkliche Meinung offen zu sagen, um nicht in irgendwelche Ecken gestellt zu werden. Ich meine, wir Menschen sind inzwischen selten noch bereit dafür, dass man über öffentliche Angelegenheiten wirklich auch offen reden kann. Und das zeigt halt eben auch dieser Openheimer-Film. Weil, was ist so schlimm daran, dass Oppenheimer einen Teil seines Einkommens für mittellose oder bedürftige Menschen gespendet hat? Aber das ist halt auch das, was mich bei diesem Fernsehspiel so mitgerissen hat: das Thema Hexenjagd.

JP> Ich sehe da eine Verbindungslinie der Kontextverschiebung. Während des New Deals und der Großen Depression der 1930er-Jahre unter Roosevelt waren ja alle irgendwie Kommunisten, also einschließlich der Regierung. Ging unter der herrschenden Not gar nicht anders. Und als dann der Nationalsozialismus in Deutschland zur weltbedrohenden Gefahr wurde, war natürlich auch Stalin und Kommunismus in Russland ein enger, ein alliierter Verbündeter, weil es ging darum, den Hauptfeind zu besiegen, weswegen alle Mittel recht waren, einschließlich eben einer waffentechnischen Anwendung der neuen Atomphysik. Die Zeiten änderten sich halt und damit auch die Kontexte. Als 1945 Deutschland besiegt war, hat Japan die Atombombe abbekommen, kapituliert und innerhalb von ein, zwei, drei, spätestens vier Jahren legte sich der Kalte Krieg mit dem Eisernen Vorhang, wie es Churchill als Begriff formuliert hat, über die Welt und natürlich auch quer durch Berlin und quer durch Deutschland. Russland, die Sowjetunion, wird zum Hauptfeind. Und in diese Bedeutungsverschiebungen ist Oppenheimer mit seiner Biographie voll reingelaufen, weil er seine Biografie nicht verleugnen wollte und seine Kontakte zu Freunden und Kollegen loyal weiter betrieben hat. Aber er hat natürlich wesentlich unterschätzt, mit welchen Mächten er es zu tun hatte, wo er doch glaubte, als "Vater der Atombombe" der größte Zampano der Welt und sakrosant zu sein. Und da wird dann die Figur Oppenheimer sehr flirrend, sehr ambivalent, um's mal vorsichtig auszudrücken. Und damit wären wir ja eigentlich schon bei unserem letzten großen Werk des Reigens der Oppenheimer-Verfilmungen, der Produktion in der Regie von Christopher Nolan aus dem Jahr 2023.

[Fortsetzung folgt]


Anmerkungen:

Teil 1 der Transkription von akiwiwa-Episode 41, eine Einleitung zu den vier Filmwerk-Besprechungen, hier.
Teil 2 der Transkription von akiwiwa-Episode 41, "Die Schattenmacher" (Fat Man and Little Boy, 1989), hier
Teil 3 der Transkription von akiwiwa-Episode 41, "Oppenheimer" (BBC-Miniserie, UK/USA 1980, 7 Episoden), hier


Diese Podcast-Episode kann man auch hören und zwar, mit einer Länge von 150 Minuten, zum Beispiel hier via Spotify:

Diese Podcast-Episode, ohne Werbung, direkt von der Podcast-Quelle:
http://akiwiwa.de/audio/akiwiwa_F41_128.mp3

Als High-Resolution-Audiodatei mit 256 kbps:
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Livestream bei akiwiwa.radio via: https://akiwiwa.radio
Ausführliche Podcast-Dokumentation mit
Filmographie und Zugang zu allen Podcast-Audios: hier

Wikipedia-Artikel zu Charles Regnier
Wikipedia-Artikel zu Heiner Kipphardt
Wikipedia-Artikel zu Gerhard Klingenberg
Wikipedia-Artikel zu Erwin Piscator


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