Lebensstart zu bedrohlichen Zeiten, Pressburg 1943

Meine Mutter, Herta Polzer, geborene Hlavatschka aka Hlavaçka, feiert heute, am 16. Oktober 2025, ihren 84. Geburtstag. Meine herzlichen Glückwünsche an sie von dieser Stelle aus.


Meine Mutter, Herta Maria Polzer, geborene Hlavaçka, 1942, beim Spaziergang mit Kinderwagen in den Hügeln von Pressburg (aka Bratislava, Slowakien) zusammen mit ihren Eltern: Maria Theresia Hlavaçka, geborene Bobek, und Adolf Hlavaçka. Foto: Familienarchiv Joachim Polzer
Aus ihrer frühen Lebenszeit haben sich nach der Flucht aus Pressburg (aka Bratislava, Slowakien) im Jahr 1945 nur drei Fotoaufnahmen im Familienarchiv überliefert. Bedrohlich waren die Zeiten durch den Kriegszustand im eigenen Land, durch die herrschende, mörderische, totalitäre Diktatur, durch das zunehmende Fremdwerden als deutschsprachiger Bürger mit österreichischem Hintergrund im besetzten tschechisch-slowakischen Nationalstaat, durch die alltäglichen Anfeindungen und Ausgrenzungen hierdurch, durch das dann schnelle Heranrücken der feindlichen Streitkräfte von Osten her, durch lebensgefährliche Situationen auf der Flucht über die Donau nach Österreich, westwärts in Richtung US-amerikanischer Befreiungslinie und beim Versuch, dort hinter Linz Schutz zu erhoffen. Als vierjähriges Mädchen auf dem Donauschiff bewußt Bomben- und Maschinengewehr-Beschuss noch während der Kiegshandlungen durch Tiefflieger mit viel Blut, Schwerverletzten und Toten neben sich an Bord des Fluchttransportmittels erleben zu müssen, prägt die Seele für ein ganzes Leben. Die traumatischen Erlebnisse in der Phase zwischen Kriegsende und Frieden mit dem anschließenden Aufbruch in ein neues, ungewisses, bescheidenes Leben in Süddeutschland setzten sich in existentiellen Verlassenheits- und Bedrohungsgefühlen zunächst jedoch einstweilen fort, als sich ihre Mutter Maria Theresia Angriffen auf das Leben und die Unversehrtheit zwischen den Frontlinien bei Linz durch einen Sprung aus dem Fenster entziehen musste. Vor 80 Jahren, 1945, hatte sich die Erfahrungszeit stark komprimiert und darin verdichtet.


Auf der Rückseite eines Ausschnitt-Fotoabzugs des obigen Porträt-Bildes von Herta aus 1943 finden sich handschriftliche Notizen, vermutlich von meiner Großmutter. Zu Zeiten der deutschen Besatzung waren auch in Pressburg Fragen der Abstammung und der Staatsbürgerschaft essentiell, wie dann auch – unter umgekehrten Vorzeichen – später, zu Zeiten von Besatzung, Verteibung und Flucht aus Pressburg 1945. Quelle: Familienarchiv Joachim Polzer
Nach so viel traumatisierender Erfahrung durch von außen eingreifende Bedrohungen am Lebensstart durfte es dann ein ruhigeres und friedlicheres Leben werden, über weite Strecken in Stuttgart. – Dabei bleibt die eigene biografische Erfahrung Mahnung für die Gegenwart, wie also die gesellschaftlichen und politischen Angelegenheiten entgleiten können, wenn das Maß (= Waage-Sonne) verloren wird und die Hybris wieder beginnt (als Erkenntnis erfahrbar in der zyklischen Uranus-Wiederkehr auf der Radix).
