20-Jahre-Regel | Globians Doc Fest 2005: "KAI" von Cassim Shepard über Kulturen auf dem Fidschi Südsee-Archipel

20-Jahre-Regel | Globians Doc Fest 2005: "KAI" von Cassim Shepard über Kulturen auf dem Fidschi Südsee-Archipel
Dokfilm-Essay KAI: Home and Belonging in Post-Coup Fiji von Cassim Shepard, USA 2004.

Gleich beim ersten Festivaldurchgang des Globians welt+kultur Dokumentarfilm Festivals im August 2005 in Potsdam zeigte sich – damals schon – thematisch die herausragende Bedeutung von Migrationsthemen beim filmischen Nachvollzug kulturellen Wandels.

Wie schwerwiegend Masseneinwanderung innerhalb kurzer Zeiträume aus anderen Kulturkreisen sich über Generationen als die Gesamtgesellschaft destabilisierendes Phänomen auswirken kann, zeigt das Dokumentarfilm-Essay KAI: Home and Belonging in Post-Coup Fiji von Cassim Shepard aus dem Jahr 2004 geradezu beispielhaft: einerseits im historischen Verständnis des Entwicklungsverlaufs, andererseits in einer dokumentarischen Nahaufnahme der beiden komplexen, rivalisierenden Haupt-Kulturen auf dem Südsee-Archipel an Beispielen.

Konfliktlinie sind hier kulturelle Identitäten, Rivalitäten, Seggregationen und Gemeinsamkeiten zwischen den indigenen Ureinwohner-Familien auf Fidschi, zuvor bereits christianisiert durch die britische Kolonialmacht, – und der über Jahrzehnte angewachsenen, vorübergehenden Bevölkerungsmehrheit der indischen Zuwanderer auf Fidschi seit den 1880er-Jahren, als Folge von Bevölkerungspolitik der britischen Kolonialmacht zwecks Bewirtschaftung (und Ausbeutung) der Kolonie durch Zuckerrohranbau.

In dem 48-minütigen Filmessay von Cassim Shepard wird nun mehr als deutlich, dass die gesellschaftliche Balance umfassend dann in Gefahr gerät, wenn die immigrierte Population einerseits die Bevölkerungsmehrheit erreicht, andererseits dann, wenn diese selbst, in ihrer kulturellen Komplexität, Dominanzverhalten zeigt. Die Folge von gesellschaftlicher Imbalance sind dann: Aufstände, Unruhen, Plünderungen, Kriminalität, Regelverstöße, Putsche, im schlimmsten Fall: Bürgerkrieg. Und dann mehrfache politische Resets, bis es sich einstweilen durch Diskontinuität homöostatisch stabilisiert.

Dieses Dominanzverhalten der immigrierten Population muss nicht zwangsläufig mit einer Unterwerfungsreligion einhergehen; sie zeigt sich im Dokfilm-Essay "KAI" nachvollziehbar etwa auch darin, dass die Indo-Fiji-Zuwanderer mit der dominanten Hindu-Kultur die Komplexität der indischen Gesellschaft um sie herum komplett neu erschaffen, inklusive ihrer kulturell-religiöser Rituale, aber auch inklusive ihrer traditionellen Minderheiten wie Sikhs, Moslems und Christen. Und das Ganze dann auch noch in neuen Institutionen wie Schulen, Kongregationen, Shopping-Center oder Kirchen, etc. zementiert. Das ist dann für die eher verhaltenen, introvertierten, auf Resonanz spürenden, hörenden Indigenen abseits der Städte einfach zu viel: Zuckerrohr-Bewirtschaftung benötigt Land, dieses ist auf dem Archipel knapp und der indigenen Population zudem heilig als ihr primärer Rückbindungskanal, spirituell gesehen.

Was ich damit sagen will: Der nun 20 Jahre alte Dokumentarfilm hat in Mitteleuropa an Relevanz aufgrund der Dringlichkeit des Verstehens für uns deutlich gewonnen, selbst wenn der Putsch von 1999/2000 auf Fidschi, auf den sich der Film schon im Titel konkret bezieht, gerade nicht der letzte gewesen war.

Auf der Homepage des Films schreibt Cassim Shepard:

In the fall of 2001, I moved to Fiji for a year to work on a documentary about race relations and cultural identity in wake of the 2000 coup d'etat. I ended up making a portrait of two families, an indigenous Fijian family living on ancestral lands in a remote village and an ethnically Indian family living in a squatter settlement in Suva, Fiji's largest city.

Kai: Home and Belonging in Post-coup Fiji premiered at the Globians World and Culture Documentary Film Festival in Potsdam, Germany in 2005.

Der Film ist inzwischen online bei Vimeo frei verfügbar:

Es war mir als Kurator des Globians Doc Fest damals eine große Freude, dass Cassim Shepard aus den USA uns gleich beim ersten Festivallauf zur Begleitung seines Films in Potsdam auf eigene Kosten besucht hat. Seine Affinität als späterer Urbanist, Filmemacher, Schriftsteller und Herausgeber zum benachbarten Berlin hat dies sicherlich gefördert.

"KAI" war Cassim Shepards zweiter Film. Sein erstes Projekt war Initial Run (2000/2001, Abschlussarbeit in Harvard) über die Mughal Mauerstadt im Zentrum von Lahore (Pakistan), als experimentelles 16-mm-Projekt, mit Referenz an seinen verstorbenen Mentor Mani Kaul.

Derzeit lehrt Cassim Shepard als Dozent an der Spitzer School of Architecture at City College, City University of New York. 

Mehr über ihn erfährt man auf seiner Website.
Hier der Link zu seinem CV:
https://drive.google.com/file/d/1eF4nqcsdVPSgbb_wUl2raz0ola6zDT63/view?usp=sharing

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