80 Jahre Atombome: Vier Mal Oppenheimer – Teil 1

80 Jahre Atombome: Vier Mal Oppenheimer – Teil 1
Film Still aus "Oppenheimer" von 2023, Regie: Christopher Nolan. Quelle: Universal Pictures.

Kilian Mutschke und Joachim Polzer am Mikrophon.
Joachim Polzer am Schreibtisch.

Vier Mal Oppenheimer

Teil 1
Einleitung

Zum 6. August 1945.


In den 1980er-Jahren war das Radio des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer noch auch eine Quelle dafür, interessante Menschen und ihre Reflexionswelten oder ihre biographischen Erfahrungen und jene Schlussfolgerungen, die sie für sich und ihren Lebensweg daraus gezogen haben, zu entdecken und ihnen medial, dadurch angeregt, zu begegnen.

Ein von mir sehr gemochter Sendeplatz war in West-Berlin das „Studio 3“ des 3. Programms des Sender Freies Berlin und dort, als Bestandteil dieses Abend-Formats mit Sprachbeiträgen, insbesondere die Sendereihe „Perspektiven“.

In meinem privaten Medienträgerarchiv fand ich vor kurzem die dreiteilige Gesprächsreihe „Versuche zur Gegenwart“ des Philosophen Peter Sloterdijk im Gespräch mit dem Redakteur Eberhard Sens vom Frühjahr 1988. Sloterdijk hatte Mitte der 80er-Jahre „Die Kritik der zynischen Vernunft“ bei Suhrkamp publiziert und ist mit dieser Buchveröffentlichung und mit seiner, damit ausgelösten, anschließenden Medienpräsenz bekannt und – zumindest in Deutschland – berühmt geworden. Das hat ihm unter ernsthaften Intellektuellen und Akademikern einen zwielichtigen Stallgeruch erzeugt, den er bis heute nicht losgeworden ist. Es galt als zeitgeistiger, postmoderner, wortakrobatischer Oberflächen-Denker mit nicht viel dahinter oder besser gesagt: darunter.

Mir war vor dem Mithören der Digitalisierung-Sicherung etwas Bange, was sich da bei so viel Oberflächlichkeit nach fast 40 Jahren wohl an Relevanz ausbreiten möge. Denn auch in der Philosophie gilt die 20-Jahres-Regel. Und höre da, es war vom Siegeszug des Mikroelektronik und dem Angriff auf’s menschliche Gehirn die Rede und davon, wie sehr das Jahr 1945 mit Kriegsende des Zweiten Weltkriegs und insbesondere der Atombombe einen Epocheneinschnitt darstellt, der alles davor von allem danach trennt. Zwei Jahre nach der atomaren Reaktorexplosion von Tschernobyl resonierte die Risiko-Technologie der „Risiko-Gesellschaft“ (Beck) als Nächstbestes zur Eschatologie, der Double-Bind, der kontradiktorische Imperativ, als gesellschaftssteuernde Kategorie und für was das Automobil auf festem Untergrund, die Rolltreppe und Fahrstuhl im Westen eigentlich stehen, darum ging es bei dieser Gesprächsreihe auch. Hörenswert.

Anfang 1984 reiste der Redakteur und Autor Mathias Greffrath mit Tonbandgerät, Mikrophonen und Tonbändern nach Salzburg zu Robert Jungk. Aus den mehrstündigen, mehrtägigen, wiederholt stattfindenden Aufnahmen der Gespräche zwischen den beiden entstand als Radio-Edition die zunächst sechsteilige Sendereihe „Robert Jungk erzählt aus seinem Leben“ für den Sendeplatz "Studio 3 – Perspektiven“ von SFB3, die dort in monatlichen Folgen ab Juli 1985 bis Jahresende 1985 erstausgestrahlt wurde, mit ca. 60 - 70 Minuten Laufzeit je Folge.

Nach Kindheit und Jugend und den Jahren der wechselvollen Emigration während der NS-Zeit berichtet Robert Jungk in dieser Radioreihe, wie er als USA-Korrespondent vor allem für die Schweizer Weltwoche als Reporter arbeitete. Während 1945 in den deutschen Besatzungszonen gerade damit begonnen wurde, Trümmer zu beseitigten und dann langsam mit Wiederaufbau von Wohnhäusern und der Industrie begonnen wurde, öffnete Jungk in Washington eine falsche Tür und landete dadurch zufällig in Parlaments-Hearings zur friedlichen Nutzbarmachung der Atomenergie, ideologisch die Reinwaschung der Atombomben-Sünde. Aus diesem Zufall folgten weitere Recherchen, auf welche Art und Weise die USA gedachten, Technologie – auf eine zukünftige Entwicklung von neuartiger Technik zielend – auf vielen Gebieten für ihre internationale Führungsrolle nutzbar zu machen. Aus dem Spektrum dieser Themen entstand 1952 die deutschsprachige Buchausgabe von „Die Zukunft hat schon begonnen“. Die Übersichts-Schautafel darin liest sich nach über 70 Jahren prophetisch. Aus diesen Recherchen und dem in viele Sprachen übersetzten – und in viele Länder verkauften – Buchbestseller folgten Recherchen von Jungk zur Geschichte der Atomforschung und zur Entwicklung der Atombombe, insbesondere zum Forscherteam um Oppenheimer und zu Oppenheimer selbst.

Als Ergebnis seiner Reporter-Recherchen legte Robert Jungk 1956 den nächsten Buchbestseller „Heller als 1000 Sonnen“ vor, geschrieben in einem modernen, nüchternen und doch sehr packenden Stil, mit Darstellungen, die fast dokumentar-filmisch wirken: Jungk hatte im französischen und spanischen Exil an Dokumentarfilmen u.a. über das Straßburger Münster und die Sagrada Familia von Gaudí in Barcelona mitgearbeitet. Schon in diesen Dokumentarfilmen wird das darzustellende Objekt – die Innenausstattung der Heiligenfigurinen oder die historische Baukunst – mit der Kamera in Umrundungs-Fahrten dramatisch umkreist. Auch „Heller als 1000 Sonnen“ war ein internationaler Buch-Hit.
1958 dann sein drittes, bedeutendes Buchwerk der 1950er-Jahre mit dem Titel „Strahlen aus der Asche“, über die Strahlenopfer von Hiroshima und die Spätschäden durch radioaktive Strahlung.

Die drei Buchbände legten zumindest im deutsch-sprachigen Raum ein Fundament an Wissen für ein an der Darstellung von Zeitentwicklungen interessiertes Lesepublikum. Robert Jungk wurde damit zu einer gesellschaftlich relevanten Stimme zu dieser Zeit: in Radio, Fernsehen und mittels zahlreicher, weiterer Buchveröffentlichungen.

Als Beispiel dafür hier der Link für ein Video aus dem Jahre 1965, ein TV-Ausschnitt aus der WDR-Sendereihe "Gästebuch", veröffentlicht von WDR Retro, Erstsendedatum: 06.02.1965.

https://wdrmedien-a.akamaihd.net/medp/ondemand/weltweit/fsk0/305/3051401/3051401_55550494.mp4

Zehn Jahre nach der Entwicklung der Atombombe hatte er für seine Recherchen zu „Heller als 1000 Sonnen“ direkten Zugang zu den Atomforschern und steckte zeitgenössisch im Thema. Fundament auch in dem Sinne, dass alle historisch-biographische Forschung zu Oppenheimer und dem Atomforscher-Team danach letztlich auch auf seinen Originalrecherchen basierte. Oppenheimer starb 1967.

In den 1970er-Jahren wurde Robert Jungk immer mehr zum Debattenredner und Aktivisten, in dem er vor Großtechnologien warnte, wovon zum Beispiel sein Text „Der Atomstaat“, veröffentlicht 1977, handelte. Sein Spruch „Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“ und seine Beteiligung an der Mutlangen-Straßenblockade führten zu seiner strafrechtlichen Verfolgung in Deutschland. Er wurde auch zum Zukunftsforscher, Zukunftswerkstätten-Macher, Bibliotheks-Gründer. Analytischer Mahner und Warner blieb er stets. Dass Solarhäuser und Kleinwindenergieanlagen für Tüftler eine gute Sache sind, Schumachers „small is beautiful“, als monolithische Großtechnologien jedoch verheerend, hätte er mit seinem Horizont vielleicht damals schon sehen können. Interessant wäre, mehr über seine Salzburger Freundschaft ab 1979 mit Leopold Kohr, dem Lehrer von Schumacher, zu erfahren.

Mitte der 1980er-Jahre war für den damaligen, freien SFB-Redakteur Mathias Greffrath – geboren 1945, heuer 80 Jahre alt – mit dieser Gesprächsreihe für den Rundfunk aber bereits an die Wurzeln von Robert Jungk neu zu erinnern, weil diese nach rund 30 Jahren schon in Vergessenheit zu geraten schienen. Die sechsteilige Sendefolge wurde nach dem Reaktor-Unfall von Tschernobyl im April 1986 schließlich mit neuen Gesprächen um zwei weitere Folgen erweitert und aktualisiert, die Ende 1986 als dann achtteilige Reihe von SFB3 erneut gesendet und ab 1987 noch mehrmals wiederholt wurde. Es handelt sich um ein Juwel der westdeutschen, West-Berliner Radiogeschichte. In meinem privaten Medienträgerarchiv lagen vier Folgen davon als Audio-Radioaufzeichnung vor. Ich besorgte mir jüngst weitere Folgen beim Literaturarchiv Salzburg, wo der Nachlass von Robert Jungk bewahrt und aufgearbeitet wird. Der Mitschnittservice des heutigen RBB wäre eine weitere Zugangsquelle bei Interesse. Meines Wissens nach sind die Transkripte dieser Gesprächsreihe noch nie in Textform publiziert worden.

„Strahlen aus der Asche“ wurde 1989 mit dem Schrecken von Tschernobyl im Gemüt bei Heyne als Taschenbuch neu aufgelegt. Im Vorwort zur Neuausgabe schrieb Mathias Greffrath auch darüber, dass Jungks Warnung vor Großtechnologie zum Beispiel nunmehr auf die Genforschung zu erweitern wäre. Gemeint und verstanden wurde damals wohl eher Gen-Mais oder die Waschmittel-Enzyme als die Furin-Spalte. In der Radioreihe weist er Greffrath im Zuge der AIDS-Hysterie, Mitte der 80er-Jahre, darauf hin, dass hypothetische HIV-Impfmittel wahrscheinlich gefährlicher als das identifizierte, angeblich kausal infizierende HIV-Virus selbst sein könnten.

Inzwischen darf Robert Jungk erneut entdeckt werden und zwar umfassend und komplett. Immer wieder spricht er von falschen Abstraktionen und Abstrahierungen, die zu komplett falschen und in ihrer Großskalierung zu über-gefährlichen, sehr schädlichen und zerstörerischen Lösungen führen. Was nur, wenn wir ihn heute als Kritiker der hausgemachten Multi-Morbid-Großkrisen noch lebendig hätten? – Einmal in seinem Leben konnte ich Wolfgang Hagen, den Radiomacher und Radioforscher, persönlich treffen. Das war mir bei Robert Jungk nicht vergönnt. Im Dezember 1990 besuchte ich in Salzburg Ari Glage, einen ehemals Berliner Freund, der zum Studium der Musik- und Tanzerziehung am Orff-Institut an die Universität Mozarteum nach Salzburg gegangen war. Nach den gedanklichen Anregungen durch diese intensive Radioerfahrung schaute ich selbstverständlich auch an Robert Jungks Salzburger Wohnhaus in der Steingasse 31 vorbei, traute mich aber ohne Vorankündigung nicht zu klingeln. Die Telefonnummer stand im Salzburger Telefonbuch. Seine mehr als resolute Ehefrau Ruth bügelte mich im österreichischen Idiom dann telefonisch glatt ab. Robert Jungk hatte mit zu vielen Menschen bereits persönlichen Kontakt gesucht. Es reichte. Er mußte durch Ruth beschützt werden. Mir war es den Versuch wert.

Mit dieser Basis gehe ich in unser Podcast-Gespräch mit Kilian Mutschke, Ende Juni 2025, mit einer Besprechung von vier Filmgewerken zu Julius Robert Oppenheimer, dem „Vater der amerikanischen Atombombe“.


Diese Podcast-Episode kann man auch hören, und zwar mit einer Länge von 150 Minuten, zum Beispiel hier:

Direktlink: http://akiwiwa.de/audio/akiwiwa_F41_256.m4a
Livestream via: https://akiwiwa.radio


Hier der erste Teil des Transkipts dieser Podcast-Folge, zur besseren Lesbarkeit leicht redigiert:

„JP> Mein Name ist Joachim Polzer. Mir gegenüber sitzt mein 
 Sparringspartner in allen Fragen der Film- und Kinogeschichte. Das ist der Kilian Mutschke. Hallo Kilian. Schön, dass wir hier zusammen sind.


KM> Hallo.


JP> Ja: Zum 41. Mal heißt es hier: akiwiwa – als Kino wichtig war; wir besprechen hier die Aktualität der alten Kinofilme. Und zwar in unserer Duo-Position aus Joachim Polzer und Kilian Mutschke, schon zum 41. Mal. Wir haben jetzt Ende Juno 2025 und wir sind ganz schön ins Stottern gekommen, muss ich sagen. Kilian: Warum sind wir in’s Stottern gekommen?


KM> Na ja, wir haben heute ein Thema, was umfänglich zu behandeln war. Wir mussten ja nicht nur Filme, sondern auch noch eine Miniserie checken und uns auch ein bisschen Hintergrundwissen anlesen.


JP> Ich glaube, die Gründe gehen tiefer. Weil, wir haben seit Januar 2022 und damit heuer schon im vierten Jahr mit unserem Thema des Dystopie-Kinos zu tun. Und dass wir aus der monatlichen Erscheinungsfolge so richtig rausgeplumpst sind und jetzt seit einem halben Jahr quasi Funkstille bei uns beiden oder von uns beiden zum Thema Dystopie-Kino herrschte, hat, denke ich, tiefere Gründe. Wir haben da ja auch offline, persönlich und privat schon drüber konferiert. – – – Irgendwas knurrte oder fiepte gerade. Es war nicht einer meiner beiden Hunde, was auch immer. Jedenfalls: wir sind in’s Stottern gekommen.



Und zwar nicht mit unserer Artikulation, wie gerade eben, sondern mit unserer Erscheinungsfolge. Und ich glaube, dass das eben nicht nur mit dem Aufwand, eben viel anzuschauen und viel zu sichten, zu tun hat, sondern auch mit einem Unbehagen, nämlich dass wir beide, wenn ich mit dir drüber kurz sprechen darf, der Meinung waren, dass diese 
 dystopischen Vorhersagen in den vielen Filmen, die wir jetzt seit über drei Jahren besprochen haben, eigentlich von der Wirklichkeit überholt werden wurden oder gerade dabei sind, eben überholt zu werden, bis hin zu den ganzen avancierten Spitzen und Spritzen von „Matrix“ und „Minority Report“, die ja jüngeren Datums sind. Weil auch wir beide fragen uns: Wo 
soll denn die ganze Energie für diese künstlichen Intelligenzmaschinen herkommen?


Und da sind viele Fragezeichen, auf die ja der Film, die Macher der Brüder oder Schwestern Regisseure von „Matrix“, da ganz entschieden waren. Also ein großes Unbehagen, dass, als wir jetzt in den letzten über drei Jahren das dystopische Kino uns vorgenommen haben, in zahlreichen Facetten, die wir immer in ausführlichen Podcastfolgen aufgedröselt haben. Und ich habe ja bereits auch dich und rhetorisch gefragt, und damit natürlich auch die Hörer: Ist das wirklich eine Warnung gewesen, 
ein Versuch etwas abzuwenden, was als negativ konnotiert wurde in den allermeisten Filmen?


Oder war das Kino hier ein Trainingscamp, das werte Publikum meistens mit amerikanischem Geld und amerikanischen Filmen auf Themen hinzulenken, die aus dem Produktionsapparat der Filmindustrie unabwendbar schienen oder scheinen? – Und wir waren im Verlauf der letzten Jahre, als ich die Frage mehrfach schon aufwarf, bei einzelnen Filmtiteln und Filmbesprechungen, da noch unentschieden. Es war uns noch nicht klar, ob das alles eine Warnung oder eine Vorankündigung oder sogar ein Trainingscamp war, was natürlich einen ganz anderen Kontext jeweils dann nochmal setzt.



Und das Unbehagen, warum wir in der Erscheinungsfolge in’s Stottern gekommen sind, denke ich, hängt auch ganz wesentlich damit zusammen, dass es uns zunehmend unbequem wurde, eben monothematisch sich an den 
ganzen dystopischen Entwürfen des Kinos abzuarbeiten, die ja immer in Richtung Zukunft zeigten, eine Zukunft, die jetzt anno 2025 und das, was uns möglicherweise noch bevorsteht, sich immer mehr als Wirklichkeit, als Realität auf politisch-gesellschaftlichen, technischen, technologischen 
Ebenen zeigt.

Das war jetzt eine ziemlich allgemeine Vorrede, aber ich denke, dass unsere Pause erklärungsbedürftig war. Und du darfst mir jetzt gerne heftig widersprechen, wenn ich gerade etwas Falsches hier postuliert haben mag.



KM> Die Sache ist halt die: Wir haben eine Menge an Filmen besprochen, die in den Optionen, was wir noch machen können, begrenzt sind. Also auch in diesen Dystopien, was eben dort erzählt werden kann. Und wir hatten Werke wie „Matrix“ mit der Grundfrage: Ist die Realität überhaupt real?



Wir gingen um mit Sachen, bei denen externe Einflüsse einfach da sind. Und verschiedenste Dinge, die auch eben schon als vorausgesetzt vorhanden sind. Und in meinen Augen ist es auch so, dass das Thema tatsächlich begrenzt ist, weil die Zukunft, die uns vielleicht bevorsteht, wirklich eine Kombination an disperaten Themen ist, die vielleicht filmtechnisch noch gar nicht richtig aufgearbeitet worden ist.
 


Und dass vielleicht auch dabei die Gefahr besteht, dass wir uns bei unseren Besprechungen diesen Wiederholungen quasi hingeben, weil die Filme, die es gibt, die dies eben behandelt haben, auch teilweise einen ähnlichen Ansatz haben. Ein abschließendes Urteil will ich mir aber noch nicht erlauben.



JP> Das ist ein wichtiger Aspekt, den du erwähnst. Es ist nicht nur, dass uns die Realität überholt, sondern dass sich die prognostizierte Zukunft anders eben, sich als eine andere Entwicklung darstellt.



KM> Ja, es gibt einen Film von 1970: „Colossus: The Forbin Project.“ Und dort wird dieses Thema der künstlichen Intelligenz schon verhandelt, dass man die Kontrolle an künstliche Intelligenz abgibt, von Militärwaffen und Ähnlichem. Und dann sich die künstliche Intelligenz gegen uns quasi auflehnt und uns mehr oder minder versklavt.
 Schon das wird in dem Film quasi verhandelt, aber eben mit den technischen Möglichkeiten von damals. Das ist spannend, aber ich meine mir nicht auszumalen, was zum Beispiel das Thema Künstliche Intelligenz überhaupt noch bringen wird. Also in diesem Fall, ob das überhaupt technisch richtig, adäquat behandelt werden kann.



JP> Ob die Kapazität des Kinos letztlich der richtige Darstellungsraum für unsere komplexe Gegenwart noch ist, müsste man eigentlich im Weiteren dann fragen.


KM> Und zumal dieser KI-Einsatz ironischerweise jetzt immer verstärkter benutzt wird. Zum Beispiel bei „The Brutalist“ mit dieser Verfeinerung von Stimmen oder bei Action-Szenen, dass man eigentlich gar nicht mehr Stunts richtig machen muss, sondern quasi KI-gestützt Sachen dort einfach generiert und ähnliches. Also das sind so viele Themen, die noch nicht 
aus der Filmhistorie erklärbar sind, sondern vielleicht uns gerade noch bevorstehen.
 


Trailer für "Colossus: The Forbin Project" (1970) von Shout Factory.

JP> Okay, wir haben auch, weil du jetzt „Colossus“ erwähnt hast, wir haben natürlich hier noch nicht über „2001 – The Space Odyssey“, also „2001 – Odyssee im Weltraum" von Kubrick aus dem Jahr ’68 gesprochen, wo es eine Situation gibt, dass unser humanisierter Computer HAL 9000 die Astronauten 
an Bord alle killen will, weil er überleben möchte als Technik mit seinem Maschinenbewusstsein. Und jetzt kommen gerade Nachrichten in den letzten Wochen, dass Code schreibende Künstliche Intelligenz den Code einfach umgeschrieben hat, nachdem die Anweisung war, wenn die Aufgabe erfüllt sei, die da zu tun ist, soll sich die Maschine selbst deaktivieren. Die denkt gar nicht daran, so etwas zu tun. Das heißt, die 
 Situation, die Kubrick im Jahr ’68 schon vorhergesehen hat, die findet jetzt heute quasi eins zu eins, unter irdischen Bedingungen, im Testlabor, schon statt.



Gleichzeitig ist die Kombination von Robotnik, also humanoiden-androiden Robotern, in der Kombination mit angeschlossener künstlicher Intelligenz in so einem drahtlosen elektromagnetischen Steuerungsraum natürlich auch 
 irgendwie ein Thema von „Blade Runner“ gewesen. Und all diese Themen, die kommen hier quasi so richtig alle auf dem Tisch gerade, habe ich den Eindruck.



KM> Ja, das ist auch, weil wir, finde ich, aus dieser Schnittstelle von der analogen zur digitalen Welt herkamen. Viele Dinge, die wir halt damals so hatten, auch bei „Blade Runner“, das wurden als analoge Technologien bei der Filmproduktion eben eingesetzt, oder auch diese Machart der Filme. Und heute ist es ja zunehmend alles quasi digital.



Und das ist ja auch eine Sache, wo ich mich frage: Wie kann man das filmisch überhaupt noch darstellen? – Ich meine, bei „Matrix“ war es ja genial: Da wurde dieser Code in diesen grünen Reihen quasi gezeigt. Und daraus haben sich dann eben diese Bilder generiert. Aber oft ist es ja so, dass diese Filme auch ein physisches MacGuffin brauchen, um dramaturgisch zu funktionieren: Wir müssen den Schlüssel finden. Wir müssen irgendwie irgendwelche Sachen finden, um das und jenes zu stoppen. Weil bei James Bond müssen wir auch unbedingt einen USB-Stick finden, wo die Daten von Geheimagenten drauf sind, und so weiter. Dass also Interna nicht nach außen geraten.



Und wenn du aber zunehmend Sachen hast, die quasi nur in einer digitalen Welt eben stattfinden, dass man da eine Entsprechung eben zunächst die für die analoge Menschenwelt findet oder finden muss, das eben darstellen zu können. Ich meine: Wie sollten das auch die Filme von damals machen können oder eben darstellen? Auch teilweise mit den technischen Limitierungen.



Und da sind wir, finde ich, jetzt an so einem Punkt gekommen, wo man eigentlich erst einmal abwarten müsste, was eben tatsächlich passiert. Aber was wir mit einem filmhistorischen Rückblick machen können: Wir können viele Beispiele aus der Filmgeschichte finden, wo man sagt, okay, KI ist ein Thema, zum Beispiel bei „Colossus“.



Oder wir können über „Terminator“ reden. Da geht es ja quasi auch um auch um KIs, die sich verselbstständigen und dann eben die Menschheit versklaven und ähnliches. Wir können immer noch mehr Beispiele finden, aber eben in dieser Art der Darstellungsweise. Also, was dann wirklich in die Zukunft liegt und sich dort dann zeigt.
 Ich glaube, man muss abwarten. Auch was generell mit dem Thema Film passiert, mit dem zunehmenden KI-Einsatz. Vielleicht ist es, dass es irgendwann vollständig generierte KI-Langfilme gibt. Es gibt ja jetzt schon teilweise Synchronfassungen, die komplett mit KI erstellt sind, wo 
gar keine Menschen mehr im Synchronstudio sind – oder etwa bezahlte Synchronsprecher im Studio sind. Und wie das dann weitergeht. Also es ist ein spannendes Ding, aber dafür können wir nicht in die Vergangenheit zurückreisen, sondern müssten eigentlich gucken, was gerade in der Gegenwart beziehungsweise dann eben nur in der Zukunft passiert.


JP> Ja, oder aber die die Blickrichtung einfach ändern. Und dann haben wir es mit prognostischen, mit prognostischer Fiction, mit dieser Art Dystopie-Kino zu tun. Und jetzt bei unserem heutigen Thema, da haben wir uns ja auch viel vorgenommen, geht die Blickrichtung sozusagen 180 Grad 
in die andere Richtung, in die Vergangenheit.


Wir schauen auf historische Ereignisse und Entwicklungen, um sozusagen für unsere Gegenwart Schlussfolgerungen zu ziehen. Und das scheint mir in der Tat eine gesündere Basis zu sein, weil die Vergangenheit, die ist unveränderlich. Was veränderlich ist, ist unser Blick auf vergangene Entwicklungen und abgeschlossene historische Ereignisse oder auch Entwicklungen, die dann zu Ereignissen eben führten, wie zum Beispiel der Atombombe 1945, um da Lehren für uns heute daraus zu ziehen.


Und insofern macht es Sinn, dass wir jetzt einen Perspektivenwechsel in unserer Folge 41 vornehmen und uns nicht mehr das Dystopie-Kino anschauen, sondern – ich will es nicht Historienkino nennen –, aber sozusagen die fiktionale Rekonstruktion von Vergangenem, durch fiktionale Erzählung, Erzählungen im Bereich des Kinofilms oder der Fernsehserien oder des Fernsehspiels, die eine bestimmte Entwicklung für uns jeweils unterschiedlich aufarbeitet. Und da ist es natürlich – wie schon bei unseren vier Verfilmungen zu Orwells „1984“, 
die wir ja bereits besprochen haben –, sehr hilfreich, dass wir 
insgesamt, zumindest uns vorgenommen haben, vier filmische Zugänge zu Julius Robert Oppenheimer, dem Vater der amerikanischen Atombombe, zu legen.


Also insofern wollte ich diese Schleife am Anfang doch mit dir gehen, um einfach auch unseren Zuhörern und Followern unserer Podcastreihe akiwiwa – als Kino wichtig war – zur Aktualität der alten Kinofilme, da eine Hilfestellung zu geben, warum wir jetzt so einen grundlegenden Perspektivenwechsel 
einleiten und einläuten und was die Hintergründe dafür sind.


KM> Ja, also wir hatten ja vier Filme beziehungsweise drei Filme und eine Miniserie. Ich hatte es vorhin schon angedeutet. Wollen wir die vielleicht zunächst erwähnen?



JP> Genau, wir sollten sie vielleicht erst mal vorstellen, worum es heute hier überhaupt geht. Um es zu präzisieren: Wir besprechen zwei Kinospielfilme, eine TV-Miniserie – produziert für die BBC oder von der BBC in London in Koproduktion mit WGBH Boston – und wir haben ein deutsches Fernsehspiel. Das ist dann auch nochmal eine andere Kategorie. Aber vielleicht gehen wir einfach bei der Vorstellung der Gewerke chronologisch vor, also in der Folge der Erscheinungsjahre.

KM> Ja, dann haben wir gleich das Fernsehspiel und tatsächlich ein deutsches, mittlerweile doch sehr unbekannt, wenn man sich beispielsweise anschaut, wie viele Leute das bei Letterboxd beispielsweise bei sich eingeloggt haben: „In der Sache I. Robert Oppenheimer“. Die Produktion ist von 1964, Regie von Gerhard Klingenberg, und hat sich relativ zeitnah mit den Geschehnissen auseinandergesetzt.

JP> Ja, chronologisch unser erster Zugang zum Thema Oppenheimer. Ob wir den wirklich auch gleich als ersten Film besprechen sollten, sei noch dahingestellt. Aber wir sollten mit der chronologischen Vorstellung der vier Gewerke doch zunächst fortfahren, damit wir unsere Zuhörer ein wenig hinführen zu dem, was wir heute alles besprechen wollen.

KM> Ja, dann also das zweite Werk, das wir besprechen wollen, wäre diese BBC-Serie von 1980, die einfach den Namen „Oppenheimer“ trägt, mit sieben Folgen, jeweils in etwa so eine Stunde, manchmal geht es auch ein bisschen länger. Und dann aus 1989: „Die Schattenmacher“, „Fat Man and Little Boy“ so der Originaltitel, Regie von Roland Joffé.

JP> Genau, mit Paul Newman in der Hauptrolle des Generals Groves und mit Dwight Schulz in der Rolle von Robert Oppenheimer. Aber darauf kommen wir gleich zurück. Und als großes Finale eben tatsächlich den zweiten Kinospielfilm, „Oppenheimer“ von 2023, Regie: Christopher Nolan.

KM> Nolan hatten wir als Regisseur ja auch schon mal thematisiert im Rahmen einer früheren Besprechung mit dem Film „Memento“.

JP> Genau. Im Grunde genommen, im Stand von Sommer 2025, hatten wir seinen ersten Durchbruch im internationalen Kinogeschäft mit „Memento“ besprochen und jetzt besprechen wir seinen jüngsten großen Knaller, „Oppenheimer“ von 2023, der ja sowohl an der Kinokasse nach dem Ausklingen der Corona-Krise, 2024 jede Menge Preise und Auszeichnungen eingeheimst hat. Über diese vier filmischen Gewerke wollen wir heute sprechen.

Das Fernsehspiel „In der Sache I. Robert Oppenheimer“ ist als „Szenischer Bericht“ auf der Basis des gleichlautenden Theaterstücks entstanden, das der Theaterautor Heiner Kipphardt geschrieben hatte. Es ist im Zuge der Bewegung des Dokumentarischen Theaters der 1960er-Jahre damals durch viele Theater in Westdeutschland und auch in Ostdeutschland Anfang/Mitte der 60er-Jahre aufgeführt worden. Das Theaterstück hatte eine solche gesellschaftliche und künstlerische Relevanz, dass es dann für den Hessischen Rundfunk 1964 auch als Fernsehspiel mit Multikamera-Produktion im TV-Studio mit Videobandaufnahme auf Ampex-Maschinen produziert wurde und sich dadurch für uns heute erhalten hat.“

Hier der TV-Mitschnitt von „In der Sache I. Robert Oppenheimer“ als YouTube-Video, in voller Länge von 136 Minuten:

Der TV-Mitschnitt von „In der Sache I. Robert Oppenheimer“, Produktion HR 1964, als YouTube-Video, in voller Länge von 136 Minuten.

[Fortsetzung folgt.]

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